Ruedi Widmer holt sich ein Brötchen

Ich lese aufmerksam und interessiert das tolle Buch «Heute und danach» über die schweizerische Popkultur der achtziger Jahre. Ich war zu jung und zu angepasst, um da wirklich dazuzugehören, und erlebte nur noch die Ausläufer Ende der achtziger Jahre wie die international erfolgreichen Yello, die Wohlgroth und die coole Arroganz, mit der man in illegalen Bars bedient wurde.

In dieser Zeit arbeitete ich in der Werbung, ich lernte den Beruf des Grafikers. Oft hatte ich mit Leuten zu tun, die in der «Bewegung» waren. Die «Bewegten», da schwingt bereits die Doppeldeutigkeit von Bewegen im körperlichen und Bewegen im gefühlsmässigen Sinn mit (heute sagt man «im emotionalen Sinn»). Es wäre zwar vermessen, der Achtzigerbewegung die Schuld für alle zehntausend sogenannten Claims (Werbeslogans) zu geben, die mit diesem «Spannungsfeld» arbeiten. Aber für etwa fünftausend darf man sie ihr sicher geben.

«Die VHS bewegt Dich». «Tanz bewegt!». «Schule bewegt», ebenso «Tanz bewegt Schule». Aber natürlich heisst auch jedes Fitnessprojekt «Sportkanton Zürich – wir bewegen», «Graubünden bewegt», «gossau-bewegt.ch», genauso wie sich «Flawil bewegt», «Bellach bewegt», die «Pfalz bewegt», «Vorarlberg bewegt», ja, sich «alles bewegt» (Festspielhaus St. Pölten). «Therapie, die bewegt» gibt es ebenso wie «Logopädie-beWEGt». Kommt mit auf die «Genuss-Region-Österreich-bewegt-Tour-2012». Umwelt­freundliche «Energie bewegt Winterthur». Die Jugend wird in Bewegung gehalten, «jubla.bewegt», ebenso natürlich «Du bewegst die Jubla». Religiös bewegt wird man in der «Stami, Kirche, die bewegt».

Es ist schön, wenn die Post einen Buchband zur Postgeschichte veröffentlicht. Der heisst naheliegend und nicht ganz zu Unrecht «Gelb bewegt». Je weniger Pakete bewegt werden, umso mehr die Gemüter. Und wir sind mittendrin im Verkehrsmarkt, wo Verkehrs­bewegungen angeboten werden. In Essen heissts bei der Strassenbahn «Wir bewegen Essen», in Rostock, in Offenbach, in Innsbruck klingt es ähnlich. «Wir bewegen Bern» tönt die Grüne Partei Bern. Lustigerweise ist, was man bei den Grünen Bern wohl gar nicht weiss, derselbe Slogan auf Zürich gemünzt auch fürs ETH-Turnen «entwickelt» worden, wie die Werbeagentur Loglan auf ihrer Website stolz vermerkt. Bei einer Aktion auf dem Gelände der Regiobahn GmbH in D-40 822 Mettmann werden zukünftige Eisen­bahn­in­ge­nieu­rin­nen mit der Losung «Die Bahn bewegt – Mädchen bewegen die Bahn» angelockt. Die Uni Heidelberg bewegt, Werder Bremen bewegt. Google bewegt noch viele Bewegungen ans Tageslicht. Ich halte es nicht mehr aus und hole mir ein bewegtes Brötchen zum Zmittag.

Es ist einfach, mit Google zu recherchieren. Die Journalisten sollen den Arsch vom Bürostuhl wegbewegen und physisch die Schauplätze des derzeitigen Lebens aufsuchen, hört man ab und zu. Nun, ich bin nicht Journalist. Aber ich bin kurz davor, die Aktion «Karikaturisten bewegen viel – bewegen sich aber zu wenig» zu gründen. Wie alle Aktionen, die sich vornehmen, den Volkskörper zu gesunden, würde die Sache aber nach acht Monaten abgeblasen und in gemütlichen Bierverzehr ­münden.

Statt bewegen kann man auch aufwühlen sagen. Ich bin dankbar, dass dieses Wort noch nicht entdeckt wurde. Vielleicht gibt es irgendwo «literatur.wühlt.auf», aber ich mag gar nicht nachschauen.

Was wird aus den Bewegten der Jetztzeit, den AbzockerInnen, wenn die Abzockerei ins Museum gestellt wird? Gehen die dann auch alle in die Werbung, und es zockt überall? «Feusisberg zockt», es «rockt und zockt»?

Ruedi Widmer ist Cartoonist in Winterthur.